Menschen tanzen auf der Straße

16 Juni, 2024

Über Freundschaften, Tische und die Bachata Community

Bachata
Community

Sinem Tuncer

Es gibt ein Zitat in dem Film Barbie Fairytopia, an das ich seit ich erwachsen bin gerne denke: „Die ganzen freien Plätze an dieser Tafel, die sind für die Freunde, die ich noch nicht getroffen habe.“ Als ich vor knapp zehn Monaten nach Wien kam, war ich gespannt, wer an meiner Tafel Platz nehmen würde. Seit ich Teil der Wiener Bachata Community bin, wird um den Tisch getanzt!

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Im August 2023 kam ich nach Wien.  Mit einem Koffer voller Klamotten und einer ganzen Packungen Neugierde kam ich in der Großstadt an. Gekannt habe ich keine Menschenseele. Obwohl die Anonymität, die einem die Großstadt bietet, ein wesentlicher Bestandteil dessen ist, was ich an dem Leben hier genieße, wollte ich  selbstverständlich trotzdem Anschluss finden und neue Leute kennenlernen. Welche Möglichkeiten hat man dafür? Richtig, im digitalen Zeitalter so einige. Und wie man das als junge Single-Frau eben so macht, habe ich gleich mal mein Tinder reaktiviert. Ein paar Swipes später stoß ich auf ein Profil von einem Typ, der in seiner Beschreibung keinen billigen Anmachspruch oder eine Möchtegern-coole-Aussage stehen hatte, sondern meinte, er würde Salsa und Bachata tanzen und gerne Reggaeton hören. Die Bilder waren auch nicht unansprechend, also wurde es ein Rechtsswipe. Mein Gedanke: Mal schauen was passiert und wenn ich durch ihn nur erfahre, wo man in Wien gut tanzen gehen kann, bin ich schon mehr als zufrieden. Dafür müsst ihr wissen, dass ich bereits vor Wien gerne getanzt habe. Zwar hat sich meine Tanzerfahrung auf die klassischen Standardtänze begrenzt, aber Bachata und Salsa war ich grundsätzlich nicht abgeneigt. Aber zurück zu Tinder. Es wurde ein Match und kurz darauf waren wir zusammen in einem Bachata Kurs. Ich war begeistert. Vor allem von dem Tanz.

Mich faszinierten die Leichtigkeit und Freude, die den Raum fluteten;  hier kamen einander Fremde zusammen, um sich ein paar Stunden Auszeit vom Alltag zu gönnen; Stunden, die ein Versprechen für ein ausgelassenes und respektvolles Miteinander sind. Obwohl man sich nicht kennt, schafft man es durch den Tanz eine Verbindung aufzubauen, sich aufeinander einzulassen und dabei vor allem ein wertschätzendes Gefühl für sich selbst zu bekommen. Ich sage ja, ich war begeistert. 

Von Beginn an eine Gemeinsamkeit

Von da an ging ich einmal die Woche in den Bachata Kurs und nach ein paar Wochen traute ich mich auch auf mein erstes Social. So euphorisierend der Tanz an sich auf mich auch gewirkt haben mag, wären die Leute, die ich dabei traf, nicht so herzlich und offen, wäre die Gesamtheit der Erfahrung wohl nicht annähernd so berauschend gewesen. Sowohl im Tanzkurs als auch bei den verschiedenen Socials lernte ich wunderbare Persönlichkeiten kennen. Das Besondere an diesen Bekanntschaften war, dass man von Anfang an mindestens eine Sache gemeinsam hat: Man tanzt gerne! Und dennoch versammeln sich ganz unterschiedliche Persönlichkeiten in der Bachata Community. Vom Psychologiestudenten über die PR-Agentin, den Softwareingenieur hin zur KI-Spezialistin – die Bachata Community ist ein buntes Sammelbecken an Geschichten und Gesichtern. 

Doch diese eine Gemeinsamkeit sagt bereits viel aus. Es bedeutet, dass man gerne unter Menschen ist, dass man leidenschaftlich ist, Rücksicht und Aufmerksamkeit schätzt und – nicht zu vergessen – auch an einem Montag gut und gerne mal bis nachts um 12 unterwegs ist. Es bedeutet, dass man gerne Latin Musik hört und einen Sinn für Rhythmus, ebenso wie einen Sinn für Ästhetik hat. Es bedeutet, dass man Spaß hat zu tanzen! Das sind schon mehr Informationen als man aus manchem Dating Profil rauslesen kann. Man kann also davon ausgehen, dass man mit den Menschen, die man innerhalb der Community kennenlernt, einiges teilt und hat diesen einen ganz konkreten Anknüpfungspunkt. Beispielsweise kann man bei einem gemeinsam Drink vor dem nächsten Social das freundschaftliche Kennenlernen mit dem gemeinsamen Hobby verbinden. Da macht das Socializen doch gleich noch viel mehr Spaß!

Sinnlichkeit und Rückhalt 

Wenn ich erzähle, dass ich Bachata tanze, dann sind die Reaktionen oftmals skeptisch. Bachata trifft auf viele Vorurteile: zu eng, zu flirty, zu sexy. Wie alle Vorurteile kommen auch diese nicht aus dem Nichts. Ja, Bachata kann sehr eng und flirty sein, aber dabei übertrumpft nie das Sexuelle. Bachata ist ein sinnlicher Tanz, bei dem der Körper die Leidenschaft für die Musik, die Bewegung und den Tanz an sich widerspiegelt. Das bedeutet, dass – wie es in jeder Situation selbstverständlich sein sollte – es Grenzen gibt, die es zu respektieren gilt. Wer die Sinnlichkeit des Tanzes für unangemessene Berührungen oder Kommentare ausnutzt, hat das Konzept des Tanzes nicht verstanden. Es kommt nicht oft vor, dass sich jemand ein unangemessenes Verhalten auf der Tanzfläche erlaubt, aber eben doch immer mal wieder. Der Rückhalt innerhalb der Community kommt in solchen Situationen einmal mehr zum Vorschein. Denn die negativen Erfahrungen werden (zumindest meiner Erfahrung nach) geteilt. Wenn sich jemand unangemessen verhalten hat, warnt man einander vor dem- oder derjenigen vor. Und die Organisatoren der Socials haben ebenfalls immer ein achtsames Auge und offenes Ohr für derartige Anliegen. Eben jener Zusammenhalt zieht sich durch die Community wie ein roter Faden und schweißt die Leute dementsprechend zusammen. 

Teil einer Community

Mittlerweile sind 10 Monate seit meinem Umzug nach Wien vergangen und die meisten meiner engen Freundschaften, die ich bisher aufgebaut habe, stammen aus der Bachata Szene. Wie bei jeder Art der Beziehung bedarf auch der Aufbau einer Freundschaft an Arbeit. Nur weil man sich bei den wöchentlichen Socials sieht, entsteht noch keine Freundschaft. Dafür braucht es den Willen, sich auch außerhalb dessen zu treffen, sich kennen- und schätzen zu lernen und es braucht Zeit. Das Bachata Tanzen hat mir die Grundlage gegeben, mich in Wien innerhalb kürzester Zeit wohl zu fühlen. Die Community ist international und heißt jede:n willkommen. Ich könnte sagen, dass ich nur durch ein glückliches Match zum Bachata Tanzen gekommen bin, aber letztlich waren es die Menschen, die ich dort getroffen habe, die mich hier gehalten haben. 

Manchmal sind es eben genauso solche Zufälle, die einen mit den schönsten Begegnungen bereichern. Ich für meinen Teil bin unheimlich dankbar, Teil dieser Community zu sein und dort wunderbare Menschen gefunden zu haben, die ich nun an meinem Tisch begrüßen darf.